Fortsetzung, Achim Exner über die Auflagen deutscher Innenminister und die Einschränkungen freiwilliger Leistungen:
Schauen wir uns am Beispiel der Landeshauptstadt Wiesbaden an, was es bedeuten würde, freiwillige Leistungen abzubauen und sich auf gesetzlich Vorgeschriebenes zu konzentrieren.
Das Projekt Jugendwerkstatt und Domäne Mechthildshausen , in dem mehr als 5000 Jugendliche - oft ohne Schulabschluss - in den letzten Jahren eine qualifizierte Ausbildung erhielten, wird zu Recht
als richtungsweisend für erfolgreiche Jugendhilfe gepriesen. Die dort geleistete Arbeit ist aber allenfalls dem Grunde nach, aber nicht im Ausmaß gesetzlich vorgeschrieben. Hier die Axt
anzusetzen, um Geld zu sparen, wäre ein fataler Ansatz, denn es würden automatisch höhere Ausgaben für ALG und Hartz 4 entstehen.
Wiesbaden verfügt seit Jahrzehnten über einen Nulltarif für Vereine, die städtische Sportstätten nutzen. Diese freiwilligen Leistungen zu beenden oder einzuschränken würde die Vereine zwingen,
entweder ihre Mitgliedsbeiträge spürbar zu erhöhen und/oder den Sportbetrieb einzuschränken. Die daraus entstehende Spirale wäre das Ende kommunalen Sportangebots.
Unsere Stadt ist berühmt für ihre Feste – Weinfest, Theatrium, Weihnachtsmarkt, Stadtfest, Bauernmarkt und zahlreiche Stadtteilkulturtage. Diese zu veranstalten, sind natürlich freiwillige
Leistungen, ohne die Wiesbaden so tot wäre, wie der Zentralfriedhof in New York.
Das kulturelle Angebot wird durch die Unterstützung zahlreicher nicht nur staatlicher Institutionen gesichert. Es besteht ausschließlich aus freiwilligen Leistungen. Staatstheater mit den
Maifestspielen, Stadtteilmuseen, Musik - und Kunstschule, Nassauischer Kunstverein, Frauenmuseum, Kunsthaus, Stadtbibliothek – um nur einige kulturelle Angebote zu nennen - könnten ohne
städtische Zuschüsse ihren Betrieb einstellen.
Auch der Bau und Unterhalt von Bürgerhäusern, Schwimmbädern, Eisbahnen, ja selbst die Einrichtung eines Radwegesystems, sind freiwillig übernommene Aufgaben. Auch das derzeit aufwendigste
städtische Projekt, der Neubau der Rhein –Main Hallen, ist natürlich nicht gesetzlich vorgeschrieben
Aber gerade die Wahrnehmung dieser „freiwilligen“ Aufgaben formen doch den Charakter einer Stadt. Sie machen sie unverwechselbar, geben ihr Konturen, sind der Stolz der Bürgerschaft und erlauben
den gewählten Repräsentanten in den Rathäusern im Dialog mit den Bürgern, Zukunft zu gestalten. Der dafür notwendige finanzielle Spielraum fehlt zunehmend, da allein die Erfüllung der
gesetzlichen Vorgaben bei der Kinderbetreuung und noch mehr die Eingliederung bisher nicht bekannter Flüchtlingsströme, die kommunale Gemeinschaft vor allein nicht lösbare Probleme stellt.
Sicher, die Erhöhung von Grund – und Gewerbesteuer – vielleicht zeitlich begrenzt – könnte einen Teil der benötigten Mittel bringen. Da durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer und der
Einräumung großzügiger Freigrenzen mehr als 2/3 der Betriebe in Wiesbaden keine Gewerbesteuer zahlen müssen, wären auch bei einer deutlichen Erhöhung nur die wirtschaftlich Starken
betroffen.
Diese profitieren dann aber auch von den hohen Aufwendungen, die die Kommunen für deren Angestellten tätigen. Vor allem die Investitionen, die kommunale Infrastruktur, die kulturellen, sportliche
und sozialen Angebote, erstklassige Bildungseinrichtungen und ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr, zeichnen heute noch den Standort Wiesbaden aus. Um diese Standortvorteile zu erhalten,
auszubauen , kann nicht länger hingenommen werden, dass Bund und Länder immer mehr Aufgaben an die kommunale Gemeinschaft delegieren und nicht ausreichend für deren Finanzierung sorgen.
Ich schlage deshalb vor, dass alle – die Stadt Wiesbaden könnte den Vorreiter machen – einen (fast) ausgeglichenen Haushalt verabschieden. Die nicht gedeckten Aufwendungen, etwa für die
Unterbringung und Eingliederung von Flüchtlingen, sowie die gleichfalls nicht gedeckten Ausgaben bei der Erfüllung der gesetzlichen Quote bei der Kinderbetreuung sollten als Defizit ausgewiesen
werden.
Das ist dann für jeden Bürger nachvollziehbar, sorgt für Transparenz und sollte die politisch Verantwortlichen in Bund und Länder zwingen, sich mit den Nöten der Gemeinden ernsthaft auseinander
zu setzen und Lösungen zu finden.
Dieser Vorschlag, nämlich bewusst ein Defizit auszuweisen, hat etwas von Bajuwarischer Notwehrstrategie. Aber es ist ja nicht alles schlecht, was von den Alpenindianern unter ihrem Häuptling
Seehofer kommt.
Dieser Aufstand ist geboten, wenn selbst starke Schultern die Belastung nicht mehr tragen können.
Wer ihn nicht wagt, leistet schnell einen Beitrag dafür, sich selbst abzuschaffen. Denn wozu braucht man dann noch lokale Demokratie, wenn alles gesetzlich geregelt ist.